„Wie war das eigentlich damals?“: Kreisrat Josef Mend und Altlandrat Dr. Rolf Bauer sprachen mit Landrätin Tamara Bischof über die Gebietsreform und ihre Erinnerungen aus dieser Zeit.

„Der Dienst­leistungs­gedanke ist in den Mittel­punkt gerückt“

50 Jahre Landkreis Kitzingen: Landrätin Tamara Bischof im ­Gespräch mit dem damaligen Landrat Dr. Rolf Bauer und Kreisrat Josef Mend über die Gründe und Folgen der Gebietsreform

Liebe Leserinnen und Leser, der Landkreis Kitzingen feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen. Seit 1972 gibt es ihn in der heutigen Form. Als Landrätin ist es mir ein Vergnügen, ein Gespräch zu führen mit meinem Vorvorgänger im Amt, dem Altlandrat Dr. Rolf Bauer, der die Gebietsreform durchführte, und Josef Mend, der zu jener Zeit in Iphofen Anwärter für den gehobenen Dienst war.

Lieber Rolf, lieber Josef, wie war die Stimmung im Vorfeld der Gebietsreform? Dr. Rolf Bauer: Gebietsreformen fanden zu jener Zeit überall in Deutschland statt und im Vorfeld war man gespannt, wie es in Bayern ablaufen würde. Die Bürger waren seinerzeit keineswegs so selbstbewusst wie heute, auch die Gemeinden nicht. Man konnte früher mehr oder weniger „von oben herab“ regieren und so haben die Bürger und Kommunen das auch in diesem Fall erwartet. Dass die Gebietsreform nicht überall in Unterfranken geschmeidig vonstattenging, zeigt mir das Beispiel aus meinem Heimatlandkreis, den Haßbergen. Der Ort Ermershausen wehrte sich jahrzehntelang gegen die Eingemeindung nach Maroldsweisach. Josef Mend: Wobei man hier differenzieren muss: Die Gemeindereform war strittiger als die Landkreisreform. Das Selbstbewusstsein des eigenen Ortes, der eigene Kirchturm standen zur Disposition. Die Fragestellungen der einzelnen Gemeinden, also wer zu wem geht und wer zu wem passt, waren – im Gegensatz zur Landkreis­reform – viel schwieriger zu beantworten. Der Altlandkreis hatte 38.124 Einwohnerinnen und Einwohner, der neue Landkreis dann 80.000. Aktuell leben im Landkreis fast 92.000 Einwohner. Wir verzeichnen beständig Zuzüge, und das ist sehr erfreulich. Daran erkennt man, dass der Landkreis stetig wächst.

In der Gebietsreform liegen die Wurzeln unseres heutigen Verständnisses dafür, wie eine Verwaltung zu funktionieren hat.

Josef Mend

„Im Vorfeld war man gespannt, wie die Gebietsreform in Bayern ablaufen würde.“

„Aktuell leben im Landkreis fast 92.000 Menschen. Wir ­verzeichnen beständig Zuzüge, und das ist sehr erfreulich.“

Auch die Verwaltung ist gewachsen. Vor der Gebietsreform gab es im Landratsamt Kitzingen zehn Beamte – inklusive Landrat – und 54 Angestellte. Danach waren es 194 Stellen. Haben die Mitarbeiter alle einen Platz gefunden? Dr. Rolf Bauer: Nein. Rund die Hälfte der Fläche des Altlandkreises Gerolzhofen ging an den Landkreis Kitzingen, dementsprechend wechselte auch viel Personal nach Kitzingen. Wir haben kurzerhand ein Gebäude angemietet und einige Stellen ausgelagert, etwa die Sozialabteilung. Welche Auswirkungen hatte die Gebietsreform auf die Verwaltung und die Bürger? Josef Mend: Ich persönlich sehe in der Gebietsreform und in den Veränderungen der Verwaltung die ersten Ansätze weg von der Obrigkeitsverwaltung hin zur Dienstleistungsverwaltung. Dort liegen die Wurzeln unseres heutigen Verständnisses dafür, wie eine Verwaltung zu funktionieren hat. Insofern war die Reform ganz elementar. Sowohl die Kommunen und die Bürger als auch die Verwaltung waren früher viel obrigkeitshöriger. In der Verwaltung waren wir streng und stramm organisiert und durften nicht sehr viel. Schon am Ende der Gebietsreform, 1978, war absehbar, dass der Dienstleistungsgedanke in den Mittelpunkt gerückt ist. Der Bürger war verantwortlicher, reifer geworden, er durfte, ja musste auf einmal selbst mitgestalten, mitverwalten, mit­organisieren.

Das heißt, die Reform hat sich positiv ausgewirkt zugunsten der Bürger? Josef Mend: Es kann wohl niemand bestreiten, dass die Gebietsreform positive Ergebnisse für die Bürgerschaft brachte. Man muss sich vergegenwärtigen: Viele Landkreise, wie etwa Scheinfeld mit gerade einmal 21.000 Einwohnern, waren für die verwaltungsorganisatorischen Anforderungen einfach zu klein. Dasselbe bei den Kommunen: Damals gab es noch sehr viele Gemeinden mit weniger als 100 Einwohnern, in denen nur ein einfacher Gemeindeschreiber tätig war. Sie hatten viele Aufgaben zu bewältigen und komplexe Vorgaben umzusetzen, ich erinnere nur an die große Rentenreform von 1957. Oder schauen wir nach Iphofen: Da gab es seinerzeit ein riesiges Bauprogramm, Flurbereinigungen sind durchgeführt worden, Wasserwirtschaftsmaßnahmen, Schulneubauten. Das musste alles geschultert werden. Da war richtig Bewegung in der Bude. Durch die Reform sind die Landkreise und Gemeinden stärker geworden – und damit auch die kommunale Selbstverwaltung.

Die gute Entwicklung, die unser Landkreis genommen hat, ist die beste Rechtfertigung für die Gebietsreform.

Dr. Rolf Bauer

Stichwort Kreisumlage. Heutzutage ist es ein großes Thema, wenn wir als Landkreis festsetzen, was wir von den Gemeinden als finanziellen Beitrag benötigen zur Erfüllung unserer Pflichtaufgaben. Wie wirkte sich damals die gestiegene Kreisumlage auf die Kommunen aus? Josef Mend: Verheerend. Dr. Rolf Bauer: Wir hatten auf einmal fünf Gymnasien, fünf Realschulen und fünf Krankenhäuser. Dafür benötigten wir Personal und Geld.

Wie stark die Kreisumlage innerhalb eines Jahres angestiegen war, zeigt ein Blick in alte Akten: Lag der Hebesatz im Haushaltsjahr 1972 bei einem Haushaltsvolumen von 21,33 Millionen Mark noch bei 43 Prozent, so stieg er im darauffolgenden Jahr auf 60 Prozent bei einem Haushaltsvolumen von 34,98 Millionen Mark. Dr. Rolf Bauer: Ja, richtig, aber nur vorübergehend. Er ist dann wieder abgesenkt worden. In der Tat sank der Hebesatz 1974 auf 48 Prozent, was 13,7 Millionen Mark entsprach, die die Kommunen aufzubringen hatten. Heute beträgt das Haushaltsvolumen 120 Millionen Euro bei einem Hebesatz von 41 Prozent. Der Hebesatz ist bis heute ein strittiges Thema geblieben, über den wir im Kreistag viel diskutieren.

„Da war richtig Bewegung in der Bude.“

„Wir sind mit unseren Aufgaben gewachsen und wachsen weiter.“

1972 ist ja auch der „Weinlandkreis“ Kitzingen entstanden. Vorher gab es im Landkreis 600 Hektar Rebfläche, danach waren es über 2000. Welche Folgen hatte dieser Zugewinn? Dr. Rolf Bauer: Für meine Arbeit so gut wie keine, denn von der Verwaltungsseite aus hatten wir wenig damit zu tun. Wir waren natürlich stolz auf den Titel „Weinlandkreis“, denn tatsächlich liegt heute die Hälfte der fränkischen Weinbauflächen im Landkreis Kitzingen. Josef Mend: Die Zuständigkeiten waren damals anders organisiert. Die Regierung von Unterfranken hatte eine eigene Weinabteilung. Der Weinbau und vor allem der Weintourismus, der ja im ­Prinzip – Volkach war hierfür ein Musterbeispiel  – ab 1972 richtig losging, ist heute ein bedeutender Wirtschaftszweig. Die Weinregion Unterfranken setzt pro Jahr 3,2 Milliarden Euro um, und ein Großteil dieses Umsatzes kommt aus unserem Landkreis. Sei es durch die Direktvermarktung der Betriebe, sei es durch die großen Genossenschaften.

Rolf, bis 1984 warst Du amtierender Landrat, wie hat sich der Landkreis seitdem entwickelt? Dr. Rolf Bauer: Ich bin der Meinung, dass er eine sehr gute Entwicklung genommen hat. Diese Entwicklung, auf die wir heute zurückblicken können, ist die beste Rechtfertigung für die Gebietsreform, denn sie hat ja überhaupt alles erst ins Rollen gebracht hat. Josef, wie lautet Dein Resümee? Josef Mend: In jeder meiner beruflichen Stationen habe ich Einblicke in die Entwicklung bekommen, als Auszubildender, als Geschäftsstellenleiter der Verwaltungsgemeinschaft Kitzingen, als Iphofens Bürgermeister und als Kreisrat. Ich sehe, dass sich der Landkreis zu einem echten Leistungsträger in Unterfranken entwickelt hat. Was damals als Grundlage gelegt wurde, durch die Arrondierung des Gebietes und die anschließende Zusammenführung, hat dazu geführt, dass wir heute eine extrem hohe Wirtschaftskraft haben, dass wir interessant sind als Wohnstandort mit hoher Lebensqualität, und dass die vielen Firmen, egal ob es Handwerker sind oder Industrieunternehmen oder Weinbaubetriebe mit der Gastronomie und was alles noch dazu gehört, allesamt Leistungsträger sind, die auf eine gute wirtschaftliche Grundlage bauen können. Auch künftig hat der Landkreis sehr viel Potenzial, sich noch weiter positiv zu entwickeln. Die Entwicklung der letzten 50 Jahre in dieser Form zeigt den positiven Trend, der uns auch hervorhebt im Vergleich mit den anderen Landkreisen in Bayern. Das können wir selbstbewusst behaupten. Das sehe ich natürlich ebenso. Liebe Leserinnen und Leser, mit den Damen und Herren des Kreistages sowie den Mitarbeitern in der Verwaltung darf ich den Landkreis jetzt seit über 22 Jahren begleiten und gestalten. Insgesamt sind wir auf einem sehr guten Weg. Der Landkreis ist lebenswert, ist liebenswert. Wir haben eine gute wirtschaftliche Situation, wir verfügen über eine gute Infrastruktur, wir freuen uns über tüchtige Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die die letzten 50 Jahre gemeinsam gestaltet haben, und auch die Zukunft gestalten werden. Natürlich ist es nicht immer einfach, die Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger zu erfüllen, aber wir sind mit unseren Aufgaben gewachsen und wachsen weiter. Wir wissen heute viel besser als damals, was erwartet wird, was eine Verwaltung leisten muss. Vielen Dank an Dr. Rolf Bauer und Josef Mend für das Gespräch, in dem wir 50 Jahre Landkreis Kitzingen haben Revue passieren lassen.

Josef Mend

Kreisrat

Seit über 30 Jahren ist der 1952 ­geborene Politiker im Kreistag ­aktiv. Von 1990 bis 2020 war er zudem ­Erster Bürgermeister der Stadt ­Iphofen. Auch beim Bayerischen Gemeindetag brachte er sich für die Wahrung und Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung ein. Die Gebiets­reform hat er als Beamtenanwärter miterlebt. Der Familienvater hat zwei Kinder und vier Enkel, die alle im Landkreis aufwachsen.

Dr. Rolf Bauer

Altlandrat

Der 92-jährige Jurist begann seinen Staatsdienst 1958 bei der Regierung von Unterfranken. 1970 kandidierte er für das Amt des Landrats im Landkreis Kitzingen – und gewann. Bis 1984 führte er das Amt erfolgreich aus und setzte die Gebietsreform im Landkreis um. Der Familienvater hat fünf Kinder, 22 Enkel und fünf ­Urenkel.