Das Rebellendorf

Wie sich der Landkreis Kitzingen verdoppelte und warum Gnodstadt auf die Barrikaden ging

Wer mit wem und warum? Diese Frage stand 1972 bei der Gebietsreform ganz oben. Manches wurde geradezu zusammengewürfelt. Und er schüttelte am heftigsten den Kopf: Franz-Josef Strauß war ein ausgewiesener Gegner dieses Würfelns, er fand die Umsetzung schlichtweg dilettantisch. Bei der Neugliederung Bayerns war einiges in Bewegung: Der Landkreis Kitzingen vergrößerte sich über Nacht auf mehr als die doppelte Fläche, weil man Orte aus aufgelösten Landkreisen dazu bekam. Was zunächst auf freiwilliger Basis geschah, endete 1978 mit letzten Zwangseingemeindungen. In Kitzingen ergaben sich die Zugewinne so: Man bekam den südlichen Teil des Landkreises Gerolzhofen, den westlichen Teil des Landkreises Scheinfeld sowie aus dem Landkreis Uffenheim die Gemeinden Bullenheim, Gnötzheim und Unterickelsheim. 1978 kam dann noch Ilmenau dazu, dafür wurde Bullenheim nach Ippesheim an den Landkreis Neustadt abgegeben. Schließlich wurde noch Gnodstadt nach Marktbreit eingemeindet. Katzenjammer und Entschlusslosigkeit Wie groß die Emotionen seinerzeit waren und welche Wallungen da mitunter ausgelöst wurden, zeigt der Blick in alte Zeitungsbände. Die Leiterin des Kitzinger Stadtarchivs, Doris Badel, hat einige schöne Beispiele zusammengetragen. Beispiel Willanzheim: Am 2. Januar 1976 wurde im Lokalteil über eine große „Entschlusslosigkeit“, was das Zusammengehen mit anderen Orten betraf, berichtet. Geplant war die Selbstständigkeit, was jedoch nicht ging. So habe es in der zurückliegenden Bürgerversammlung „großen Katzenjammer“ gegeben. Jetzt wolle man nach Iphofen, was aber inzwischen zu spät sein könnte, so der Tenor. Derweil sich Ende 1975 der Dettelbacher Stadtrat mit einer „Flut von Eingemeindungsanträgen“ befassen durfte. Mit Neuses am Berg, Neusetz, Schernau, Euerfeld und Schnepfenbach wollten gleich fünf Orte zu Dettelbach stoßen. In Volkach gibt es einige Last-Minute-Zusammenschlüsse, weshalb die Gebietsreform dort erst 1978 abgeschlossen wurde. Dimbach und Fahr sowie Obervolkach und Fahr waren erst nach langer Überlegung bereit, ihre Selbstständigkeit aufzugeben. Protestmarsch zur Regierung „Protest!“ hieß es dagegen in Gnodstadt. Man fühlte sich von „denen da oben“ nicht wahrgenommen und als Spielball politischer Interessen benutzt. Gleich zweimal hatte das 700-Einwohner-Dorf im Zuge der Gebietsreform die Landkreise gewechselt. Zunächst wurde die selbstständige Gemeinde 1972 mit dem übrigen Landkreis Ochsenfurt in den Großkreis Würzburg eingegliedert. Sechs Jahre später musste man diesen unter dem erbitterten Widerstand der Bevölkerung wieder verlassen. Und nicht nur das: Gnodstadt gehörte von nun an nicht nur zum Landkreis Kitzingen, sondern musste auch seine Selbstständigkeit als Gemeinde aufgeben, als es dem ungeliebten Ort Marktbreit zugeschlagen wurde. Die Gnodstädter waren unzufrieden, wollten unbedingt wieder zurück zum Landkreis Würzburg – und zeigten das deutlich. Rund 100 Einwohner marschierten vor den Sitz der Regierung von Unterfranken in Würzburg. Samt Transparenten, Resolution und Traktoren, beladen mit Mist, um zu zeigen, was sie von der Reform hielten. Die Delegation stand allerdings vor verschlossenen Türen, weil der Pförtner flugs alles abgesperrt hatte, zudem war der damalige Regierungspräsident Philipp Meyer nicht im Haus. Der Mist wurde nicht abgeladen, die Bilder davon aber wurden zu Ikonen des Reformprotests. Am Ende eine positive Geschichte Überschriften wie „Landkreis verliert Bullenheim und gewinnt Gnodstadt“ oder „Michelfeld doch nach Kitzingen?“ gehörten damals zur Tagesordnung, es war ein munteres Hin und Her. Westheim und Kaltensondheim beispielsweise sollten lange Zeit Kitzinger Stadtteile werden. Dass es seinerzeit tatsächlich nicht langweilig wurde, weiß auch der ehemalige Iphöfer Bürgermeister Josef Mend noch sehr genau. Als blutjunger Verwaltungsbeamter in der Verwaltungsgemeinschaft Kitzingen hat er zwei Fronten miterlebt: Jene, die nichts ändern wollten. Und jene, die unbedingt für Veränderungen waren. Warum sich etwas ändern sollte, macht er an einem einfachen Beispiel klar: „Iphofen hat damals einen größeren Haushalt als der Landkreis Scheinfeld gehabt.“ Gegen Neuerungen kämpfende Gemeinderäte, ausgeprägtes Kirchturmdenken, religiöse Zugehörigkeiten – es gab viel Unruhe und schnell war klar, warum sich „seit dem Zweiten Weltkrieg keiner an das Thema herangetraut“ habe. Gelohnt habe sich der Stress auf alle Fälle: „Der Landkreis ist zusammengewachsen“, so das Fazit des erfahrenen Politikers. Was für Strauß dilettantisch begann, sei längst „eine positive Geschichte“.

Dass sie das Produkt der Gebietsreform für Mist hielten, unterstrichen die Gnodstädter mit entsprechendem Ladegut auf ihren Traktoren, das sie dem Regierungspräsidenten zum Geschenk machen wollten.

„Denen werden wir es zeigen“: So verkündete es die Gestik der Gnodstädter, bevor sie zum Protestmarsch nach Würzburg aufbrachen, um ein Zeichen gegen den ungeliebten Landkreiswechsel zu setzen.